Geld gegen Gerechtigkeit

 

„Der Besuch der Alten Dame“ zum Jubiläum des Freiburger Theaters

 

Stephan Reuter, Freiburg i. Br.

 

Zum 100-jährigen Bestehen hat sich das Theater Freiburg ein Jubiläumswochenede geschenkt, gespickt mit Premieren. Der Basler Regisseur Christoph Frick bespielt das Grosse Haus mit Friedrich Dürrenmatts „Besuch der Alten Dame“. Ein Klassiker, wie er so gewiss nicht im Buche steht.

 

Endlich Klartext. Ohne Wenn und Aber. Heisser Brei pur. So palavern sie, der Bürgermeister (Victor Calero) und seine Honoratioren, bringen einen stammtischpolitischen worthülsen-Loop nach dem anderen unter die Leute. Das Publikum ist noch nicht vollzählig, das Saallicht noch an, es fällt auf neuen geklonte Clowns in lottrigen Jeans-Jacketts und Boyfriend-Hosen, sie haben sich die grauen Zotteln aus der hohen Stirn gekämmt. Reichlich wohlstandsverwahrlost, dieses Güllen in Freiburg.

 

Die Bühne war mal blau, links ist sie verkohlt, hinten ist sie spiegelbildlich das Grosse Haus des Theaters. Wenn ein Zug vorbeikreischt, drängelt sich ganz Güllen am Bahnsteigrand, und man weiss nicht, wollen sie aufspringen oder drunter. Oder tuts ihnen nur wohl, die Schulter am Nachbarn zu reiben.

 

Gestöckelt. Es dauert nicht lang, bis Regisseur Christoph Frick alle Signale auf Burlesque gestellt hat. Die alte Dame, Claire Zachanassian, stöckelt herein. Silberne Pumps, silberne Leggins, silberne Mähne, nackte Brust. Männerbrust wohlgemerkt. Denn Claire ist eine Drag-Queen von der roheren Sorte.

 

Frick, der in Basel mit dem Theater Klara angefangen und einen eigenwilligen Trash-Stil entwickelt hat, wendet einige Zeit und Slapsticks auf, um die Dörfler von vorneherein als moralisch Abgestürzte zu entlarven. Erst als Ben Daniel Jöhnks Zachanassian vom Bierkistenthron aus verkündet, zu welcher Bedingung er zu Güllens Wohltäter wird, zieht die Handlung an: eine Milliarde für einen Mord, Geld gegen Gerechtigkeit – und Rache für einen Liebesverrat. Alfred Ill soll sterben. Vor 50 Jahren hatte er seine Geliebte Claire schimpflich im Stich gelassen. Sie, schwanger, und gedemütigt, musste Güllen verlassen, verlor das Kind, strandete im Hamburger Hurenhaus.

 

Noch feixt Ill (André Benndorff). Noch zischt der Lehrer (Andreas Helgi Schmid) pfui, und der Bürgermeister wettert: „Noch sind wir in Europa.“ Und lieber bettelarm als blutbefleckt.

 

Zerbröckelt.  Doch die Freundschaft bröckelt schnell. Schon gerinnt den Dörflern der Gruss auf der Gasse, als salutierten sie einem Todgeweihten. Ill verkriecht sich hinter seiner Ladenkasse, alle lassen plötzlich anschreiben. Unmerklich verschiebt sich das Klima: Früher ging man bei Ill einkaufen, heute geht man Ill überwachen. Zachnassian muss warten.

 

Dürrenmatt hat eine einfache Parabel vorgelegt, keine allzu raffinierten Charaktere. Kennt man sie einmal, flacht die Neugier ab – da kann das homogene Männerensemble so stark auftreten, wie es will. Erst als die Regie das Publikum in der Gemeindeversammlung der Güllener mit einem dramaturgischen Trick dazu bringt, Ills Todesurteil zu applaudieren, lässt einen dieser „Besuch der Alten Dame“ nicht mehr unbeteiligt. Da ist die Inzenierung wieder die grimmige Groteske, die Dürrematt vorgeschwebt hat.

 

Der Mord geschieht dann ohne Worte, in reiner Rudelübereinkunft: Das Dorf kreist Ill ein, wirft sich auf ihn, erstickt ihn. Zachanassian, an der Rampe, streift sein kleines Schwarzes ab, zückt die Kohle. Und der Bürgermeister grinst bei der Scheckübergabe in den Saal: ein dümmlicher Politikerreflex. Licht aus. Jubel im Parkett.