Die Nibelungen – Christoph Frick schreibt in Freiburg Hebbels Großdrama um

Frau Siegfried räumt auf

von Jürgen Reuß

Freiburg, 2. Februar 2008. Was haben die Burgunder um König Gunther eigentlich gegen diesen kühnen Recken Siegfried? Sicher, Gründe für Missgunst gibt es immer, wenn da so ein Angeber vorbeischneit, mit dem König um sein Reich kämpfen will und dazu ein unverwundbarer, schwerreicher Superheld ist, der sich bei Bedarf auch noch unsichtbar machen kann. Anders gesagt: So ein Traum von Mann ist letztlich immer der Alptraum für alle anderen Männer, die nach Jahrhunderten von Konkurrenzhorden-Sozialisation in so einem Typen automatisch den sehen, der immer einen Tick besser sein wird als sie.

Ein entrümpeltes Komödienspiel

In der Freiburger Inszenierung von Friedrich Hebbels "Die Nibelungen" treibt Regisseur Christoph Frick diese Männerangst vor dem Überlegenen auf die Spitze: Sein Übermensch Siegfried ist kein Mann, sondern eine Frau. Und was für eine. Die fulminante Johanna Eiworth spielt den Heroen in einer Mischung aus Lilo Pulver im "Wirtshaus im Spessart" und Steve Martin im "Mann mit den zwei Gehirnen". Dabei ist sie ein derartig übertrieben kraftmeierndes Energiebündel, dass jedem schwülstigen Nibelungentreuepathos mit parodistischen Heißluftstößen die Erdschwere ausgetrieben wird. 

Das "deutsche Trauerspiel", als das Hebbel seine "Nibelungen" verstanden wissen wollte, wendet Frick so zwangsläufig ins Komödiantische. Eine Wandlung, die dem Stück übrigens ausgezeichnet bekommt. Zur Verwandlung gehört auch eine kräftige Entrümpelung.

Pausenloses Zetern

Schon das Bühnenbild (Viva Schudt) zeigt den Willen zur Beschränkung. Eine große, weit in den hinteren Bühnenraum ragende Spielfläche, darauf ein Podest aus Rollen, drumherum ein paar Stühle und hinten ein Stapel Matratzen, fertig. Auch die Personnage hat Frick aufs Wesentliche zusammengestrichen. Im Zentrum, neben Siegfried, der Zauderkönig Gunther (Ben Daniel Jöhnk), das Urbild des Regenten, der seine Schwächlichkeit zur Schau trägt, damit andere ihm die Verantwortung für die Drecksarbeit abnehmen.

Hagen (Thomas Mehlhorn), der gnadenlose Verteidiger des Status quo und Kriemhild (Elisabeth Hoppe), ohne die sich im Burgunderreich eigentlich gar nichts tun würde. Ganz wunderbar, wie die Inszenierung Kriemhilds unermüdlichen Energie-Input fühlbar macht: Während sie am Ende des ersten Teils wieder und wieder ein Gericht für den Mörder Siegfrieds fordert, öffnen sich die Saaltüren, um das Publikum in die Pause zu entlassen.

Aber nicht mal davon lässt sich Kriemhild abhalten. Ohne Unterlass wiederholt sie ihren Anspruch auf ein Gericht, während die Zuschauer, zunächst verunsichert, sie dann doch alleine lassen, um ihren Pausensekt zu trinken. Manche schauen zwischendrin mal rein. Tatsächlich, sie zetert immer noch, und so beginnt auch der zweite Teil.

Wann ist der Mann ein Mann?

Neben solchen klugen Szenen rührt die nachhaltigste Wirkung des Abends jedoch von der Besetzung des Siegfried mit einer Frau. Und das nicht nur wegen der komischen Effekte, sondern wegen der Perspektivverschiebung: Das, was ein Mann immer sein möchte, der unbesiegbare Superheld, der Kriege, Frauen und Schätze im Nu gewinnt, der es in zahllosen Literarisierungen zum Nationalheroen gebracht hat, wird hier von einer Frau verkörpert.

Aber was bleibt dem Mann denn noch, wenn er keine Drachen töten, ja nicht mal ein nordisches Kraftweib wie Brunhild (Melanie Lüninghöner) überwinden kann? Letztlich nur Intrige, Hinterlist und am Ende tollwütig verzweifeltes Umsichschlagen.

Regisseur Frick hat dafür ein schönes Bild gefunden: Siegfried ist tot, Brunhild katatonisch, Kriemhild schmollt, und die Männer sind endlich mal unter sich. Was tun sie? Sie liegen sich saufkumpanig in den Armen, vergraben sich in einem Matratzenbunker vor der bösen Welt und helfen Kriemhild, damit sie ihnen endlich den Untergang bereitet.

Kein Wunder, dass Kriemhild in dieser Meute keinen würdigen Bräutigam findet. Da muss erst jemand wie sie selbst kommen: Frau Siegfried. Und die ist Frau genug, Brunhild gleich noch mit zu erobern.

Oh Mann, oh Blut

Das einzige nicht gelöste Problem der Freiburger Inszenierung ist der Zickenkrieg. Da Kriemhild und Brunhild Siegfried genauso wenig als Frau erkannt haben wie die Männer, tappen sie in die Eifersuchtsfalle und werden zu Furien, diesem bedrohlichen Etwas, dem unbestimmten Grauen das patriarchalische Gesellschaften gerne in das ihnen unbekannte weibliche Wesen hineinphantasieren. So hat am Ende das letzte Wort der Mann – Hunnenkönig Etzel (Julius Vollmer), der ach so geplagte Mann, der wieder mal nicht anders kann, als Blutvergießen: "Nun sollt ich neue Bäche ins Blutmeer leiten – Doch es widert mich, ich kanns nicht mehr."


 

Mai 2008

 

Experiment und Diskursivität

 

Zu Barbara Mundels zweiter Spielzeit am Theater Freiburg

 

Von Bodo Blitz

 

Mit „freundlichen Skeptizismus“ seien die Freiburger ihrem Team zu Beginn der ersten Spielzeit begegnet, so Barbara Mundel heute. Tatsächlich gab es Grund, sich zu verhalten: die Jahre der Niermeyer-Intendanz hatten für einen sehr hohen Qualitätsstandard gesorgt. Doch vielleicht war diese Skepsis ja der Boden für die schrittweise Entwicklung herausragender Qualität. Der diskursive Beginn von Mundel und ihrem Team in der ersten Spielzeit hatte von Anfang an künstlerische Spannung aufgebaut, auch provoziert. Anstatt Antworten zu erhalten, würden die Freiburger mit einer Fülle von Zukunftsfragen bombardiert. Als Stadt Bürger konnte man nie sicher sein, hinter der nächsten Quartiersecke nicht den kommunikativen Greifarmen des „Orbit“ zu begegnen: jener mobilen Mini-Bühne, die gierig Kontakt zu Laien aufnahm, um deren Befindlichkeiten dem eigenen Theater wieder zurück zu melden. Das subventionierte Theater als Experiment, Hochkultur in steter Suche. Spannend klang das, intellektuell zumal, aber eben auch anstrengend. Drohten nicht Enttäuschungen, wenn jenseits der Bühne mehr angestoßen wurde, als sich auf ihr verarbeiten ließ? Auf der Bühne des Schauspiels setzten sich diese vom Ziel her unabsehbaren Denkbewegungen fort. Dekonstruierende Inszenierungen standen im Zentrum; Hinterfragen wurde zum ästhetischen Grundprinzip. Kognitiver Zuspruch entsteht so, aber tatsächlicher Zuneigung des Publikums?

(...)

Den Höhepunkt im Schauspiel liefert aber Christoph Frick mit seiner Nibelungen-Inszenierung in Großen Haus. Diskursiv in der Grundstruktur und mit Spielszenen, wie aus dem Bühnennichts entworfen werden. Der Bühnenstrauch als Natur, die Trinkflasche, in den Strauch gesteckt, als Quelle, das Theaterkreuz auf den Rücken als Zielmarkierung: Fertig ist das Setting für den Siegfrried-Mord. Dekonstruierend in der irritierenden Idee, Siegfried mit Johanna Eiworth weiblich zu besetzen. Die Alterität der Figur, deren fabulierender Gestus ebenso wie deren Männer bedrohende Komponente werden dadurch eindrucksvoll betont. Die Ermordung Siegfrieds gerät so zum folgerichtigen und bedrückenden Akt der Ausgrenzung. Trotz ihrer Kargheit im Bühnenbild und ihrer Intellektualität im Konzepts bleibt die Inszenierung emotional erfahrbar, durch punktuelle Vergrößerungstechniken wie üppige Musik ebenso wie durch die körperliche Gewalt des Spiels bis zur Erschöpfung. „Ich fordere Gericht!“, schreit Elisabeth Hoppe als Kriemhild König Gunther (Ben-Daniel Jöhnk) nach der Ermordung Siegfrieds Wieder und wieder ins Gesicht. „Hör doch endlich auf!“, schleudert dieser unermüdlich zurück. Die Türen öffnen sich zu Pause. Doch der Theaterloop, er geht weiter. Wer jetzt als Zuschauer zum Pausen Bier flüchtet, verweigert Gerechtigkeit. Natürlich gehen fast alle: sollen die Schauspieler doch Überstunden leisten. Als Beteiligte, die nicht einschreiten, obwohl sie alles gesehen haben, entkommen sie nicht. (...)