Schiller und die Achse des Bösen
Starke, zwanglos aktuelle „Räuber“ eröffnen im Schauspiel Hannover
„Die Räuber“ haben die Spielzeit im Schauspielhaus eröffnet. Viel Beifall für eine Inszenierung, die Schiller in die Näher der Gegenwart rückt.
VON SIEGFRIED BARTH
JUNG UND RADIKAL BIS IN DEN TOD: Christian Friedel als Franz, Christoph Franken als Karls Moor. Foto: Horn
HANNOVER. Sie könnten böse Jungs von heute sein. Gestern noch Milchbub, jetzt schon rasant auf der schiefen Bahn. Sie sind jung und radikal bis in den Tod, als taugte das Leben nur zum Selbstmord-Attentat. Christoph Franken (Karl Moor) und Christian Friedel (Franz) spielen diese Brüder, die auf unterschiedliche Weise mit sich und der Welt verfeindet sind.
Ein smarter Typ ist Christian Friedel als Franz Moor. Ein drahtiger Jungmanager der Vernichtung, habgierig und intrigant. Um seinen Bruder als Erben auszubooten, verleumdet er ihn aufs Gemeinste. Der Musterknabe Karl muss weg, dieser Stachel steckte schon lange in ihm
Konspirativ
Der Musterknabe ist inzwischen Räuberhauptmann, der glaubt, einen historischen Auftrag zu haben: Die Lizenz zum Töten im Dienst der Freiheit. Nun ist er der Kopf einer Bande von kopflosen Killern, die Nonnen vergewaltigen und Kinder verbrennen.
Über einer leeren, schrägen Bühnenfläche, die immer schräger wird, schwebt ein Satteldach. Viva Schudt hat damit der Familie Moor ein Haus gebaut und den Räubern ein Versteck. Unter dem Dach versammelt sich die ganze Achse des Bösen, die böhmischen Wälder werden nicht gebraucht. Und die Bande agiert auch so, wie man sich Terroristen in einer konspirativen Wohnung vorstellen kann. Eine gefühlte Aktualität stellt sich ein, obwohl sie nie behauptet wird.
Denn die Wörter sind echt von Schiller, stark gekürzt, aber pur. Alles ist da: die Vorboten der deutschen Klassik im Sturm und Drang, der hohe Ton, die gemeisselten Sätze. „Billig kommt man da nicht raus“, hatte Regisseur Christoph Frick schon vorher gesagt. Also lässt er Pathos zu, lässt es ausreizen bis zu einem hochemotionalen Rhythmus des Dialogs.
Messerscharf
Davon profitiert vor allem Hauptdarsteller Christoph Franken, der mit seiner prächtigen Wampe (die er entblösst und mit Schminke beschmiert) wahrlich kein Heldentyp ist, kein Karl Moor und auch kein Che Guevara. Er holt sich seinen extremen Charakter allein aus dem Text. Christian Friedel als Bruder Franz feiert mit Schillers Sprache messerscharfe Orgien der Vernichtung und Selbstzerfleischung.
Svenja Wasser gibt der Amalia ein kämpferisches Profil, das man dieser oft vernachlässigten Rolle kaum zugetraut hätte. Unter den Räubern ragt ein bestechend-cooler Spiegelberg (Wolfgang Michalek) heraus. Torsten Ranft ist ein anrührend hilfloser Vater Moor. Dass er sich auch noch ausziehen muss, ist eine Übertreibung. Aber seien wir gnädig: Eineinhalb Nackte in zwei Stunden sind im modernen Regietheater eine erträgliche Quote.
Die Inszenierung schafft durch Verzahnung der Handlungsstränge spannende Sequenzen. Am Ende, im grossen Showdown des Scheitern und Sterbens, wirkt sie überspannt, ungeduldig und hastig, das steckt an. Hastig platzt der Applaus in die letzte Szene, was nicht gerade Ergriffenheit signalisiert. Aber er hält lange fünf Minuten an.