Brodowskys Tragikomödie erzählt von Menschen, die zwischen dem Traum von Freiheit und dem Streben nach Sicherheit schwanken. Für Brodowsky ist das Lavieren zwischen Freiheitswille und Sicherheitsdenken das prägende Paradox seiner Generation. Die Szenerie: die Feier einer Scheinhochzeit. Der Prosecco ist wärmer als die Stimmung. Tilman hat mitten in der Krise seinen ersten Job hingeschmissen - und das, obwohl er in seiner Jugend brav auf Helmut Kohl und den Segen der Informatik gesetzt hat. An der Festtafel klaffen Lücken. Da sind Tilmans Mutter, seine zynische Exfreundin und der Vater. Der ist zwar tot, drängt sich aber ständig in den Mittelpunkt, als Tilmans Alter Ego: ein fast schon schizophrenes Rollenspiel, mit dem der ausgezeichnete Mathias Lodd den Hochzeitsgästen und dem Publikum gleichermaßen den Nerv tötet. Gut an Christoph Fricks Inszenierung ist, daß niemand ein kulturpolitisches Lamento anstimmt. Die Auflösung der sozialen Werte ist da, die festen Jobs sind weg, die Orientierung auch. Alle Personen haben Mühe damit, den Zerfall ihrer Lebensentwürfe zu vertuschen. Schnelle Dialoge wechseln mit langen Selbstgesprächen. Das Erzähltempo variiert geschickt, hinter jeder Pointe lauern Ehekrach und Kindheitshölle, die große Aggression und die universlae Traurigkeit. Vor allem Tilman ist ein moderner Jedermann, ein Modell für den schleichenden Abstieg einer ganzen Generation.
Paul Brodowsky liefert in seinem Auftragswerk die verschärfte Version des Hochzeitdramas: Weißrussin heiratet Deutschen wegen Aufenthaltsgenehmigung; seine Mutter macht eine perfid gute Miene zum bösen Spiel. Der Bruder der Russin ist in Gedanken noch im Afghanistan-Krieg und die Ex-Freundin des Deutschen mit von der Partie. Allerhand Sprengstoff, könnte man meinen. Allerdings hat der Knall schon längst stattgefunden: die Globalisierung hat Traditionen zerfetzt und Psychen zersetzt. Das Radikale an diesem Theaterstück: Es gibt keine Einheit der Person mehr.