Heft 05/2016
von Bodo Blitz
Vier Schauspieler, zwei Musiker sitzen zu Beginn im Lichtschein eines sehr modernen Lagerfeuers: Auf zusammengerollten Kabeln sind Neonröhren bodennah aufgeschichtet. Ab und an hält einer seine Hände vor die künstliche Lichtquelle, als wäre Wärme zu spüren. Alle stöbern in Bücherklassikern zum Klimawandel sowie zur synthetischen Biologie, geben sich gegenseitig Lesetipps, tauschen sich aus. Es ist ein gänzlich unaufgeregter Beginn für einen fulminanten Abend mit radikalen Tempowechseln. Über die Rezitation von Eichendorffs „Mondnacht“ wird das benannt, was verloren ist: eine idyllische Natur, welche die Kraft hat, Himmel und Erde zu vereinen. Die Rezitation bricht folgerichtig ab, geht über in ein gemeinsames Gebet. Wieder und wieder beschwört die Lagerfeuergesellschaft eine Passage aus Angela Merkels Rede auf dem Kopenhagener Klimagipfel 2009: „Die Lebensgrundlage des Menschen langfristig zu bewahren, es gibt wohl kaum eine wichtigere politische Aufgabe als diese, denn die wissenschaftlichen Ergebnisse sind eindeutig: Er (der Klimawandel) bedroht unser Wohlergehen, unsere Sicherheit und wirtschaftliche Entwicklung – wenn wir nicht entschlossen gegensteuern. Nicht irgendwann, sondern – jetzt.“
Zyklisch und folgenlos zieht sich der Theaterloop, passend zur Tatenlosigkeit politischer Rhetorik, zunehmend überlagert von der exzentrischen Wildheit einer sich zum Sturm steigernden Bühnenmusik. Martin Schütz und Bo Wiget entfesseln im kongenialen Nebeneinander eines klassischen und eines Electric-5-string-Cellos die Elemente. Das Bühnenbild aus aufgeschnittenen Planen mit Kartenaufdrucken von Flüssen und Landschaften wirkt im musikalischen Orkan fragil und verwundbar. Als der Sturm sich gelegt hat, nimmt der Klimadiskurs Fahrt auf. Minutenlang verabschieden die Schauspieler bedrohte und ausgestorbene Tierarten aus der Roten Liste: „Tschüss, Schneehase! – Tschüss, Apfellaufkäfer! – Gelber Hermelin, tschüss! – Wildbiene, tschüss!“ Der Tonfall wechselt zwischen kindlichem Entsetzen, bürokratischer Gleichgültigkeit und Aggression auf alles, was sich als zu schwach erweist. Christoph Fricks diskursives Theater – „Naturzwei“ wurde vom Theater Freiburg in Koproduktion mit der Kaserne Basel produziert – wird von Johanna Eiworth, Melanie Lüninghöner, Nicola Fritzen und Dominique Rust sprachlich präzise sowie durchweg vielstimmig intoniert, nahe an einer Sprachkomposition. Da werden unsere Rechtfertigungsschleifen benannt, getreu dem Motto: Was haben wir nicht alles versucht! Mülltrennung, Gelber Sack, keine noch so gute Tat bleibt unberücksichtigt. Da wird aber auch der Rausch unserer Konsumgesellschaft nicht verschwiegen, welcher von der Klimaanlage über PS-starke Autos bis zum Flugurlaub kräftig die Klimaschraube anzieht. Verzicht? Nur punktuell vorgesehen. Die Katastrophe scheint unabwendbar. Sie erweist sich aber zumindest als theatertauglich. Wenn Martin Schütz und Bo Wiget Verdis „Requiem“ selbst einspielen und intonieren, dann symbolisiert diese chorische Ebene der Musik eine Größe des Untergangs.
Und doch: Das vermeintliche Ende erweist sich in Fricks Inszenierung auf geradezu unverschämte Weise als neuer Anfang. Zu Beginn des zweiten Teils ziehen die Schauspieler die Planen mit Landschaft und Flüssen in den Theaterhimmel. Als würde unsere erste Natur verabschiedet. Offen liegt so eine schwarze, verspiegelte Spielfläche. Eine Hügellandschaft entpuppt sich als überdimensionale Zelle, aus der neues Leben auf synthetische Weise gewonnen werden kann. Der wissenschaftliche Diskurs unter der Überschrift grenzenloser Reproduzierbarkeit nährt die Illusion, dass es weitergeht. Was möglich ist, wird geschehen – und sei es noch so künstlich. Die Optimierungsmetapher besitzt Verheißungscharakter. Romantik, Untergang, Tragik, das war einmal. Musikalisch dominieren längst die synthetischen Klänge. Konsequent verschwinden abschließend alle Schauspieler im Schaumstoff-Zellkern. Das Spiel, es könnte von vorn beginnen? Trotz einer menschenleeren Bühne? //
Die Natur wächst über sich selbst hinaus
Joachim Boldt, Ethiker, im Gespräch mit Christoph Frick, Regisseur von »Naturzwei«
Christoph Frick: Herr Dr. Boldt, warum brauchen wir im Zusammenhang mit der Synthetischen Biologie die Ethik?
Joachim Boldt: Wenn wir unser Verhältnis zur Natur rein instrumentell verstehen, sind wir »das Andere« der Natur und formen sie nach unseren Wünschen. Wenn wir aber davon ausgehen, dass wir Teil der Natur sind und sie auf eine bestimmte Art und Weise als „das Eigene« betrachten, dann heißt das, dass wir ihr gegenüber eine Verpflichtung haben. Deshalb hat die Frage, wie wir als Menschen zur Natur stehen, immer eine ethische Komponente.
CF: Die Synthetische Biologie setzt sich zum Ziel, aus der DNA, dem Träger unserer Erbinformation, also unserer Gene, neues Leben zu erschaffen. Gibt es aus Ihrer Sicht einen Unterschied zwischen einer Maschine und einem aus biologischem Material künstlich erzeugten Tier?
JB: Ganz unten auf der biologischen Stufenleiter stehen zunächst einmal die einzelligen Lebewesen wie Bakterien oder Hefen. Und alle denken: Warum nicht eine Bakterienzelle so optimieren, dass sie noch mehr medizinisch wirksame Stoffe produziert? Der Blick, den die Synthetische Biologie auf ein Lebewesen wie ein einzelliges Bakterium wirft, klammert Fragen wie »Ab wann tun wir diesem Lebewesen, mit dem wir da umgehen, eigentlich Recht oder Unrecht?« systematisch aus. Bewegen wir uns auf der Stufenleiter jedoch »höher«, etwa in Richtung Hund, dann werden diese Fragen für uns intuitiv immer relevanter. Aus der Sicht eines »orthodoxen« Synthetischen Biologen können sich diese Fragen aber an keiner Stelle der Stufenleiter stellen. Ihm geht es immer nur um die Regelmäßigkeiten dieser – dann immer komplexer werdenden – Gebilde, die er vor sich hat. Wo sollen wir den Punkt setzen, ab dem wir dem Leben einen so großen Eigenwert zugestehen, dass wir damit nicht mehr einfach machen können, was wir wollen? Auf diese Frage werden wir eine Antwort geben müssen, sonst kommen wir irgendwann bei uns selbst an und machen uns zum Objekt unserer eigenen Interessen. Denn was uns auszeichnet, ist die Fähigkeit zur Freiheit, und Freiheit kann man nicht optimieren. Freiheit besteht genau darin, dass sie Dinge tut, von denen man im Vorhinein nicht weiß, ob sie gut oder schlecht sind. Wenn die Technik allumfassend und damit zu einem Mittel wird, uns selbst zu verbessern, dann gibt unsere Vision, wie wir in zehn oder zwanzig Jahren sein sollten, uns selbst einen Zielzustand vor, der in diese Technik eingeschrieben ist. Ob es denn tatsächlich das sinnvolle oder richtige Ziel ist, können wir aber gar nicht wissen.
CF: Was ist Zukunft?
JB: Zukunft ist das für uns noch nicht Bekannte, auf das hin wir uns entwerfen.
CF: Mit dem Klimaproblem haben wir viel Zukunft verspielt. Das Sprechen über Synthetische Biologie dagegen ist häufig von einer unglaublichen Aufbruchseuphorie bestimmt: Wir haben die magische Abkürzung ins Mikroskopische gefunden und entdecken plötzlich wieder Neuland. Was für ein Verhältnis zur Zukunft wird da geschaffen?
JB: Solange man bei diesen technischen Anwendungen immer versteht, welches Problem damit gelöst werden soll, würde ich sagen, mit Zukunft, Vergangenheit oder Gegenwart hat das erst mal gar nicht so viel zu tun. Da bewegt man sich in einer für die Technik ganz angemessenen Zweck-Mittel-Relationsüberlegung. Aber wenn man den Blick ausweitet und sich hineindenkt in eine kommende Welt, die auf eine grundlegende Art und Weise anders ist als unsere heutige, dann wird der Begriff Zukunft sinnvoll: Wir entwerfen nicht nur etwas, womit wir unsere Probleme anders oder effizienter lösen als bisher, sondern wir strukturieren unser Leben so grundsätzlich neu, dass sich neue Arten von Wahrnehmungen ergeben und neue Arten von sozialen Relationen entstehen.
CF: Die Synthetische Biologie ruft nicht zuletzt deshalb viel Unwohlsein hervor, weil sie etwas in Gang setzt, das nur wenige verstehen, das aber irreversibel zu sein scheint.
JB: Bei der Frage nach unserem Umgang mit einer veränderten Natur ist nie so ganz klar, was man als Schaden definieren soll. Die Kritiker heben hervor, dass die Langzeitwirkungen künstlicher Eingriffe in die Evolution für uns nicht kalkulierbar sind. Umgekehrt kann man aber auch sagen, dass die Natur ein faszinierendes Gebilde ist, das es schaffen kann, bestimmte Angriffe von außen zu inkorporieren und selber darauf zu reagieren.
CF: Katastrophen kennt allein der Mensch, die Natur kennt keine Katastrophen, sagt Max Frisch.
JB: Das berührt eine große philosophische Frage: Soll man der Natur so etwas wie Ziele zuschreiben? Und dann etwas als für die Natur selbst schädlich definieren, wenn diese Ziele vereitelt werden? Ich finde, man kommt in der Biologie nicht ganz darum herum, solche Arten von Annahmen zu machen. Bei allen Beschreibungen von zumindest höherem organischem Leben gibt es etwas, das wir Menschen gar nicht anders nennen können als »Interessen«. Auf dieser Grundlage lässt sich dann auch etwas als »Schaden« für die Natur definieren, wenn diese Interessen verletzt werden.
CF: Sie sprechen also noch immer von Natur? Es gibt sie noch?
JB: Ja, Natur im Sinne Desjenigen, aus dem wir als Menschheit gekommen sind und das wir immer noch sind. Oder müssen wir sagen: zu einem Teil? Dasjenige, das wir immer als »Drüber hinaus« über die Natur erfahren – nämlich die Freiheit, uns über unsere Handlungen selbst Rechenschaft abzulegen, uns neue Handlungen zu überlegen und um unsere Verantwortung zu wissen – soll aber ja gerade etwas sein, das im Kern auch schon in der Natur enthalten war, bevor wir da waren. Insofern wachsen nicht wir aus der Natur heraus, sondern die Natur wächst über sich selbst hinaus. So müsste man das Verhältnis zwischen Mensch und Natur korrekt fassen.
CF: Was sagen Sie zu der These,zwischen Technik, Kultur und Natur könne oder sollte man gar nicht mehr unterscheiden?
JB: Solche Begriffe sind nie nur beschreibend, sondern immer auch handlungsleitend. Wenn wir auf die Unterscheidung dieser Begriffe verzichten, bedeutet das, wir geben die Kriterien auf, mit denen wir verschiedene Arten und Weisen unterscheiden können, auf die wir uns zu uns selbst oder zu Anderem, eben der Natur, verhalten. Wir brauchen diese Begriffe aber als Orientierungsmarker. Bei den Synthetischen Biologen stößt man immer wieder auf das Argument, man dürfe sie nicht mehr unterscheiden, weil es Übergänge und Graubereiche gibt. Sie rechtfertigen ihr Tun damit, ja gar nichts Neues zu unternehmen, sondern bloß Genetik oder Gentechnik wie immer schon. Und in gewisser Hinsicht stimmt das auch. Man bastelt an der DNA herum, nur jetzt eben an der ganzen DNA statt an einzelnen Genen. Aber dass solch ein Anstieg der Quantität irgendwann auch einen Umschlag in der Qualität bedeuten kann, der Auswirkungen auf unser tägliches Leben mit sich bringen könnte, droht bei einer solchen Sichtweise zu verschwinden.
CF: Der Chemie-Nobelpreisträger Paul Crutzen sagt, wir werden wahrscheinlich aus der Klimaproblematik ohne Technik nicht rauskommen.
JB: Die Synthetische Biologie wird immer gern mit den großen Menschheits-Rettungsphantasien in Verbindung gebracht: Sie sei die Lösung aller Umweltprobleme, und der Welthunger würde auch noch nebenbei mit erledigt. So wird es nicht sein. Diese Probleme lassen sich nicht auf technische Art und Weise lösen, das sind soziale Probleme, das sind Verteilungsprobleme.
CF: Einer Ihrer Artikel heißt »Was ist Leben?« Was ist es denn?
JB: Leben ist Dasjenige, was uns vor der Natur ehrfürchtig sein lässt. Man kann das Erhabene der Natur darin verankern, dass man in ihr eine vom Menschen unangetastete Kette evolutionärer Verbundenheit sehen kann, die in eine unvordenkliche Vorzeit reicht. Das Eine muss aus dem Anderen heraus entstanden sein, sonst bricht etwas entzwei, das für uns wertvoll ist. Aus dieser Sicht erscheint die Synthetische Biologie als etwas ethisch Fragwürdiges, weil sie neue Anfänge setzt und diese Kette unterbricht. Wenn man einen Organismus neu macht, entsteht daraus eine neue evolutionäre Kette. Sie hat ihren Ursprung dann aber nicht mehr in etwas Unvordenklichem, für uns nicht Nachvollziehbarem, vor dem wir andächtig werden können. Damit ist das Ganze entzaubert. Ich persönlich denke, was uns ehrfürchtig werden lässt, ist die unglaubliche Vielfalt, mit der die Natur Antworten auf Fragen gibt, zu denen auch wir Menschen immer wieder Stellung beziehen müssen, zum Beispiel: Wie bringt man das eigene Leben zum Erblühen? Auch wir haben ja die Aufgabe, unsere Lebenszeit zu gestalten – eine Aufgabe, von der wir gar nicht so genau wissen, was sie eigentlich ist. Dazu gehört auch die Begrenztheit von Lebenszeit. Ohne sie wäre die Idee, etwas gestalten zu müssen, hinfällig. Ich finde, auch evolutionäre Prozesse sind so am besten zu verstehen.
CF: Aber was ist da entstanden, damals, als das erste Leben begann?
JB: Die unbelebte Welt ist reine Materie. Erst wenn Leben dazu tritt, macht es Sinn, zwischen Form und Materie zu unterscheiden: Ein einzelliges Lebewesen kann sich materiell dauernd erneuern und gar nicht mit sich selbst identisch bleiben. Auch wir wechseln uns permanent aus, alles an unseren Zellen erneuert sich dauernd. Und es gibt, wenn wir uns mit einem mikroskopisch exakten Blick betrachten, überhaupt keinen Grund zu sagen, dass wir mit uns selbst identisch bleiben. Trotzdem sprechen wir mit Recht von einem Ich, weil wir eine bestimmte Geschichte haben, weil sich unsere Identität dadurch definiert, dass wir Pläne, Vorstellungen und Werte darüber bilden, wie wir unser Leben in der Zukunft gestalten wollen. Es macht Sinn, diese Art von Ich-Kern von einem rein materiellen Kern zu unterscheiden. Es gibt da einen bleibenden Kern von Integrität, der unangefochten davon bestehen bleibt, dass der Zellhaufen sich materiell dauernd erneuert. Und das ist das, was wir Leben nennen.
PD Dr. Joachim Boldt arbeitet am Institut für Ethik und Geschichte der Medizin der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Das hier auszugsweise widergegebene Gespräch mit Christoph Frick fand am 15.01.15 statt, Redaktion Jutta Wangemann und Luisa Steiert.
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Am 3. Juli um 19.00h hält Joachim Boldt im Winterer-Foyer den Einführungsvortrag zum Kongress »RE-ENGINEERING LIFE oder WOLLEN WIR UNENDLICH SEIN?«.
Am 4. Juli um 20.00h zeigen wir zum letzten Mal in dieser Spielzeit im Kleinen Haus die Inszenierung »NATURZWEI – Ein musikalisch-theatrales Forschungsprojekt« von Christoph Frick, Martin Schütz und Bo Wiget, im Anschluss findet ein Publikumsgespräch mit den Künstlern statt.